Ergebnisse der Umfrage «Situation von Handel und Gewerbe in den Städten des Kantons Bern»

In den vergangenen Monaten sind vermehrt kritische Stimmen von Handel und Gewerbe aus den Berner Städten an BERNcity und Fokus Bern gelangt. Die nun vorliegende Umfrage zeigt ein genaueres Bild der Situation und benennt den Handlungsbedarf.

Ergebnisse der Umfrage «Situation von Handel und Gewerbe in den Städten des Kantons Bern»

EXECUTIVE SUMMARY / INFORMATION

Bern, 23. Juli 2019 – In den vergangenen Monaten sind vermehrt kritische Stimmen von Handel und Gewerbe aus den Berner Städten an BERNcity und Fokus Bern gelangt. Die nun vorliegende, gemeinsam durchgeführte Umfrage zeigt ein genaueres Bild der Situation und benennt den Handlungsbedarf. Die Mehrheit der Unternehmen in den Berner Städten ist nach wie vor zufrieden mit der Gesamtsituation. Allerdings hat der Druck in den vergangenen Jahren zugenommen. Im «globalen» Kontext kämpfen Handel und Gewerbe mit sinkenden Margen, verändertem Konsumverhalten (v.a. Onlinehandel) und Fachkräftemangel. Auf lokaler Ebene sind die Veränderung der Stadtstruktur (namentlich Verkehrssituation und Parkplätze) sowie die Regulierungsdichte und Auflagen die grössten Herausforderungen. Diesem steigenden Druck steht ein empfundenes Desinteresse von Seiten der Politik und Behörden gegenüber. Die Befragten sehen bei den städtischen Behörden den grössten Handlungsbedarf (84%) und fordern von diesen mehr Verständnis, Wirtschaftsfreundlichkeit und Dialog.

Über 500 Unternehmen haben an der Umfrage von Fokus Bern und BERNcity teilgenommen, die im Juni 2019 in Kooperation mit der Innenstadt-Genossenschaft Thun (IGT), City Biel-Bienne sowie Pro Burgdorf durchgeführt wurde. Peter Stämpfli, Präsident von Fokus Bern, zieht aus der Umfrage folgende Erkenntnisse: «Wir sind froh, dass die Mehrheit der Unternehmen in den Berner Städten nach wie vor zufrieden ist. Sehr beunruhigt sind wir allerdings über den zunehmenden Druck, den vor allem die Detailhändler verspüren, und über die Tatsache, dass sich die Unternehmen von den Behörden nicht ernst genommen fühlen. Dies müssen wir – und mit wir meine ich natürlich auch die Verbände – ernst nehmen und nachbessern.»

Zufriedenheit: Ja, aber …

In der Befragung gaben 2/3 der Unternehmen an, derzeit zufrieden zu sein. Jedes dritte zeigte sich wenig zufrieden bis sehr unzufrieden. Am zufriedensten ist die Hotellerie mit 85%, während es beim Detailhandel mit 54% nur noch die Hälfte ist. Dasselbe Bild zeigt sich bei der Frage, wie sich die Situation in den vergangenen Jahren verändert hat: Über die Hälfte der Detailhändler/innen sehen eine Verschlechterung (52%), während es bei den Hoteliers 16% sind (Dienstleister 39%, Gastronomie 25%). Weiter zeigt sich, dass die Unternehmen von KMU bis Grossfirma insgesamt zwar ähnlich zufrieden sind, dass sich die Situation bei den mittelgrossen Unternehmen jedoch am deutlichsten verschlechtert hat.

Fragt man die Unternehmen nach ihrem Empfinden zum Umgang mit den Behörden und deren Wirtschaftsfreundlichkeit, erhält man ein wenig schmeichelhaftes Bild: Auf einer Skala von 0 (frostig/unternehmerfeindlich) bis 10 (fruchtbar/ unternehmerfreundlich) erhält die Stadt Bern die Note 3.5. Thun schneidet mit 5 deutlich besser ab.[1] Der Kanton erhält von den Unternehmen in beiden Städten eine 4.5. Die Wirtschaftsverbände haben ebenfalls noch Luft nach oben, wie die Bewertung von 5.3 zeigt.

Nicole Loeb von der Loeb Holding AG teilt das Empfinden vieler Befragten: «Das Berner Gewerbe, die Läden und die Gastronomie sind in der Stadt Bern mehr als einfach Wirtschaftstreibende, die Verkehr und Littering verursachen. Wir sind sehr bestrebt und motiviert, einen Beitrag zum Stadtbild zu leisten und Bern zu einer lebendigen Stadt zu machen. Ich wünschte, dass dies manchmal etwas mehr honoriert würde.»

Herausforderungen: Hier drückt der Schuh …

Fragt man die Unternehmen nach den allgemeinen Herausforderungen, zeigen sich die drei Spitzenreiter «sinkende Margen», «Veränderung des Konsumverhaltens» (z.B. Onlineshopping) und der «Fachkräftemangel». Während beim Detailhandel und in der Gastronomie das veränderte Konsumverhalten das grösste Problem ist, kämpft die Hotellerie vor allem mit dem Fachkräftemangel und bei den Dienstleistern sind es die sinkenden Margen (eng gefolgt vom Fachkräftemangel).

Betrachtet man die standortgebundenen Faktoren – und damit den direkten Einflussparameter der lokalen und kantonalen Behörden – fallen insbesondere die drei Punkte «veränderte Stadtstruktur» (räumlich und gesellschaftlich), die «Regulierungsdichte» sowie «Abgaben/Gebühren» ins Gewicht. Den Thuner Detailhandel scheint die Veränderung der Stadt besonders stark zu belasten.

Fragt man nach den grössten Hindernissen vor Ort, lässt sich die «Verkehrssituation/Parkplätze» als Hauptproblem erkennen und zwar branchen- und städteübergreifend. Ganze 83% der Befragten gaben an, mit dieser Herausforderung zu kämpfen. Spitzenreiter ist der Dienstleistungssektor (91%), gefolgt von Detailhandel (82%), Hotellerie (71%) und Gastronomie (63%). Erst mit einigem Abstand wird von 28% der Befragten das Thema «Ungleichbehandlung/Wettbewerbsnachteil» (z.B. Pop-Up, Bahnhöfe, Tankstellen, etc.) genannt. Ins Gewicht fallen hierbei vor allem die Stimmen der Gastronomie (57%) und Hotellerie (76%). Fragt man gezielt nach der Gleichbehandlung in Bezug auf Auflagen (gleich lange Spiesse), fällt auf, dass sich deutlich mehr Berner Unternehmen ungleich behandelt fühlen (56%) als diejenigen in Thun (34%).

Thomas Burkhalter, Inhaber der Böhlen AG mit Sitz in der Berner Lorraine, spricht aus Erfahrung: «Anfahrtszeiten zu Kunden innerhalb der Stadt oder in die Aussenquartiere sind unter 30 Minuten kaum mehr realisierbar. Das hat entsprechende Kosten. Zudem werden aufgrund der zahlreichen Verkehrsbeschränkungen (gesperrten Strassen, Ampeln mit langen Rotphasen, Bushaltestellen in den Fahrbahnen, Temporeduktionen und der zum Teil prekären Parkplatzsituation) Kunden auf dem Land oft schneller erreicht als Kunden in der Stadt.»

Problemlösung: Das sind die Erwartungen …

Mit Blick auf die Herausforderungen sehen die Befragten den Handlungsbedarf in erster Linie bei den städtischen Behörden/Politik (84%), gefolgt von den kantonalen Behörden/Politik (54%), den Unternehmen selbst (36%) und schliesslich den Wirtschaftsverbänden (25%). In Bern zeigt sich eine leicht höhere Erwartungshaltung gegenüber der Politik als in Thun; umgekehrt sehen die Thuner die Unternehmen stärker in der Pflicht (49%).

Von der städtischen Politik und den Behörden fordern die Befragten vor allem mehr Wirtschaftsfreundlichkeit, Wertschätzung und einen «echten» Dialog, in dem sie erst genommen und ihre Anliegen berücksichtigt werden. Sachpolitisch steht die Lösung des Verkehrsproblems und der Parkplätze im Zentrum, gefolgt von den Herausforderungen mit Auflagen, Vorschriften und Bewilligungen. Vom Kanton werden neben der bereits genannten Wirtschaftsfreundlichkeit und Dialogbereitschaft vor allem die Senkung der Unternehmenssteuern und mehr Standortförderung erwartet. Von den Wirtschaftsverbänden fordert man mehr Unterstützung, Zusammenarbeit und den Dialog mit den Behörden – die dringlichen Anliegen der Unternehmen sollen mit mehr Nachdruck vertreten werden. Sachpolitisch sollen sich die Verbände vor allem auf die Themen Verkehr, Steuern, Liberalisierung (z.B. Öffnungszeiten), Entlastung von der Bürokratie, Import-/Export-Bedingungen (v.a. EU) sowie die Fachkräftethematik konzentrieren. (Siehe alle offenen Antworten auf einen Blick: dashboard/SM-B6T9QMWV)

Aus aktuellem Anlass: Ladenöffnungszeiten

Aus aktuellem Anlass wurde nach der kantonal vorgeschlagenen Flexibilisierung zur Verlängerung der Ladenöffnungszeiten gefragt (1 Stunde länger samstags, zwei Sonn-/Feiertage mehr). Die Anpassung orientiert sich an einem veränderten Konsumverhalten, welches zum Beispiel den Samstag zum umsatzstärksten Tag macht. Während in Bern der Vorschlag mit 64% deutlich begrüsst wird, wird er in Thun nur von 35% befürwortet. Interessant ist zudem, dass sich aus Branchensicht lediglich der Detailhandel selbst gegen den Vorschlag äussert (37% Zustimmung); alle anderen Sektoren sagen klar Ja. Schaut man den Detailhandel genauer an, zeigt sich, dass die Nein-Stimmen von den Kleinst- und Kleinunternehmen stammen (22% und 45% Zustimmung), während die mittelgrossen und grossen Anbieter deutlich Ja sagen (63% und 90% Zustimmung). (Siehe Grafik Ladenöffnungszeiten; Antworten Detailhandel nach Geschäftsgrösse: dashboard/SM-8PPDFYSV)

Fazit: Plädoyer für mehr Offenheit, Urbanität und einen echten Dialog

Sven Gubler, Direktor von BERNcity, zieht folgendes Fazit: «Die Berner Städte sind nach wie vor attraktiv und die Mehrheit der Gewerbler scheint zufrieden. Das ist sehr wertvoll und wir müssen alle Hebel in Bewegung setzen, dass dies so bleibt. Dazu müssen die Behörden die Wirtschaft aber ernster nehmen.» Auf lange Sicht sei es in niemandes Interesse, wenn Berner Innenstädte kontinuierlich zu reinen Wohnquartieren mit fast schon ländlicher Stille mutieren. Zum Wohnen allein kann dies attraktiv sein, das urbane und vielfältige Leben (Arbeitsleben, Nachtleben, Gastronomie, Handel, Gewerbe, Kultur, Sport, etc.) geht jedoch verloren. «Deshalb besteht dringender Handlungsbedarf, um den heutigen, einzigartigen Branchenmix zu erhalten und zu fördern. Hierzu braucht es einen offenen Dialog, in dem sich alle Beteiligten ernst genommen fühlen und gemeinsam daran gearbeitet werden kann, die verschiedenen Anliegen und Interessen möglichst unter einen Hut zu bringen.»

BERNcity und Fokus Bern sind überzeugt, dass ein florierendes Gewerbe ein wichtiger Bestandteil für jede attraktive, lebendige und vielfältige Innerstadt ist. Zudem müssen die Städte im Kanton Bern ihre Rolle als Wirtschaftslokomotiven wahrnehmen und diesen Standortvorteil entsprechend bespielen. Die Verbände sehen den Ball nun bei den Behörden und der Politik, damit ein ernsthafter und lösungsorientierter Dialog stattfinden kann und gute Lösungen erarbeitet werden können.

Alle Fragen, Grafiken und Detailresultate der Umfrage sind unter folgenden Links abrufbar: 


Informationen zur Umfrage
Die Umfrage wurde von BERNcity und Fokus Bern in Kooperation mit der Innenstadt-Genossenschaft Thun (IGT), City Biel-Bienne sowie Pro Burgdorf durchgeführt. Der Zeitraum der Befragung lag zwischen dem Freitag, 14. Juni bis und mit Sonntag, 30. Juni 2019. Die Befragung wurde mit Hilfe des online Umfragetools Mailchimp durchgeführt.

An der Befragung nahmen insgesamt 529 Unternehmen aus den vier Städten Bern, Biel, Burgdorf und Thun teil. Bei der Gesamtauswertung werden alle Antworten einbezogen. Aufgrund der Teilnehmerzahl kann die Detailanalyse jedoch ausschliesslich für die Städte Bern (409) und Thun (92) durchgeführt werden. In Burgdorf und Biel war die Anzahl der Teilnehmenden zu tief für zuverlässige Aussagen.

Über BERNcity
BERNcity ist die Organisation für eine lebendige und vielfältige Berner Innenstadt. Als Stimme der Innenstadt macht sich die Organisation stark für die Anliegen ihrer Mitglieder und ein starker Partner in Sachen Marketing, Politik und Events. BERNcity ist aktiv in den Bereichen Shopping, Politik, Gastronomie, Kultur und Wohnen. www.berncity.ch

Über Fokus Bern
Die Unternehmerinitiative Fokus Bern wurde Anfang 2012 gegründet mit dem Ziel den Kanton Bern als Wirtschaftsstandort und Lebensraum nachhaltig zu stärken. Mittlerweile wird die Initiative von rund 60 Unternehmerinnen und Unternehmern aus dem ganzen Kanton Bern unterstützt. In konkreten Teilprojekten erarbeitet Fokus Bern Lösungsvorschläge und regt mit neuen, innovativen Denkanstössen die Debatte über die Zukunft und Weiterentwicklung des Standorts Bern an.

Fokus Bern ist als Unternehmerinitiative unabhängig von anderen Institutionen und der politischen Standortförderung, will aber – wo sinnvoll – bestehende Projekte unterstützen und ergänzen. www.fokus-bern.ch


[1] Aufgrund der Anzahl Teilnehmer wird die vergleichende Detailanalyse ausschliesslich für die Städte Bern (413) und Thun (93) gemacht werden. In den Städten Burgdorf und Biel sind die Teilnehmerzahlen zu wenig hoch.

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